Warum dieser Leitfaden Gesund aufwachsen in der vernetzten Welt

Kennen Sie das?

Wenn Kinder klein sind: Fernseher oder Tablet sind an -
sofort sind unsere Kinder fasziniert und ruhig. Wir können

  • unsere Arbeiten erledigen,
  • durchatmen und uns erholen,
  • stressfrei längere Autofahrten mit der Familie machen,
  • werden endlich nicht mehr ständig mit Wünschen und Bedürfnissen genervt,…

Medienerziehung orientiert sich an der Entwicklung des Kindes

„Kinder wissen meist, was sie wollen,
aber sie wissen oft noch nicht, was sie brauchen.“ 

Jesper Juul, dänischer Familientherapeut

coscaron / photocase.de

Wenn die Kinder dann größer sind: Nur noch am Handy!

  • Kannst du mir mal in der Küche helfen? - Jetzt nicht!
  • Wann machst du endlich deine Hausaufgaben? - Später!
  • Bist du immer noch wach - es ist schon nach 11? - Na und?
  • Kannst du nicht mal beim Essen ohne Handy sein? - Ähm, was?

Aber vielleicht kennen Sie auch das?

  • Das Kind kann mit Dingen (aus der analogen Welt) langanhaltend spielen,
  • es kann seine eigene Fantasiewelt aufbauen und kreativ Neues erfinden,
  • es ist gesellig und kommt mit anderen Kindern gut aus – es ist „teamfähig“.
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Kinder sollen später als erwachsene Menschen mit der digitalisierten Technik und den dann vorhandenen „noch neueren“ Medien kompetent und mündig umgehen können. Das ist das Anliegen dieses Leitfadens – und natürlich auch das von uns allen: den Eltern. Nur wie wird dieses Ziel erreicht? Und kann dieses Ziel erreicht werden, wenn Kinder möglichst früh mit digitalen Medien in Berührung kommen und ihre Möglichkeiten nutzen lernen, wie es derzeit immer wieder gefordert wird?

Dieser Leitfaden versucht, Ihnen bei der Diskussion dieser Fragen eine Orientierung zu geben. Dabei geht er von der übergeordneten Fragestellung aus: Was brauchen Kinder bzw. Jugendliche für ihre gesunde Entwicklung? Studien zeigen, dass eine gesunde (Gehirn-) Entwicklung der beste Garant dafür ist, dass Kinder im Jugend- und Erwachsenenalter digitale Medien kompetent und mündig nutzen können. Daher ist die Frage: Können digitale Medien eine gesunde Gehirnentwicklung fördern oder erweisen sie sich dafür als hinderlich oder sogar als schädlich?

Rina H. / photocase.de

Pädagogen, Kinderärzte und Medienexperten warnen

Wir wissen heute: Besonders in den ersten Lebensjahren spielen Bildschirmmedien eine unheilvolle Rolle, denn sie wirken umso mehr entwicklungshemmend, je häufiger sie genutzt werden. Bereits Kleinkinder zeigen dabei schnell erste Anzeichen von suchtähnlichem Verhalten. Außerdem kann es leicht zu Störungen in der Gehirnentwicklung kommen mit fatalen Konsequenzen. Auch größere Kinder, die immer mehr Zeit an Bildschirmgeräten verbringen, sind gefährdet, wie die aktuelle BLIKK-Medienstudie von 2017 (1) zeigt: Häufiger Medienkonsum kann zur Hemmung in der Sprachentwicklung, zu Aufmerksamkeitsschwäche, Konzentrations- und Schlafstörungen, Hyperaktivität, Aggressivität bis hin zu Lese- und Rechtschreibstörungen führen.

Erst ab dem zwölften Lebensjahr können Kinder und Jugendliche mit den Bildschirmmedien – nach und nach in Maßen eingesetzt – zunehmend selbstbestimmt und angemessen umgehen. Wenn für das Autofahren, den Zigaretten- und Alkoholkonsum Altersbeschränkungen sinnvoll sind, dann spricht heute Vieles dafür, dass dies erst recht für die Nutzung digitaler, vernetzter Medien gelten sollte!

Was sagen Entwicklungspsychologie und Neurobiologie?

Entwicklungspsychologie und Neurobiologie haben die Bedingungen für eine gesunde Gehirnentwicklung des Kindes seit langem erforscht: Die Sinne des Kindes und vor allem das Gehirn entwickeln sich umso besser, je reichhaltiger die Kinderjahre mit Bewegungsaktivitäten – laufen, klettern, purzeln, balancieren u.v.m. – gefüllt werden, je intensiver sich das Kind mit analogen Dingen seiner natürlichen Umwelt, mit seinen Mitmenschen, Tieren und Pflanzen auseinandersetzen kann. Die Reifung und zunehmende Differenzierung der Nervennetze im Stirnhirn (Kortex) ist ein über zwei Jahrzehnte andauernder Prozess: Es geht um Schreiben-, Rechnen- und Lesenlernen, was wiederum neue Gedächtnisinhalte ermöglicht und differenziertere geistige Leistungen erst entstehen lässt.

In jedem Lebensabschnitt muss das Kind für eine gesunde Gehirnentwicklung charakteristische Entwicklungen durchlaufen und entsprechende Fähigkeiten entwickeln, wie in den folgenden Kapiteln im Einzelnen aufgezeigt wird. Entscheidend ist in jeder Entwicklungsphase die Frage, ob das Kind von seiner inneren Reife her den Anforderungen, die mit den verlockenden Möglichkeiten der Mediennutzung verbunden sind, gewachsen ist und nicht Störungen provoziert oder sogar Schädigungen entwickelt werden.

Medienerziehung sollte sich daher an dem Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen orientieren!

Für die Kindheit bedeutet dies: "Eine Kindheit ohne Computer ist der beste Start ins digitale Zeitalter!“ Diese These von Gerald Lembke und Ingo Leipner (2) ist überhaupt nicht paradox: Wer den Einfluss digitaler Medien auf Kinder reduziert und dafür dem Kind viel Bewegung ermöglicht und Freude an der Natur und am Umgang mit analogen Dingen vermittelt, fördert(!) ihre Gehirnentwicklung, denn Jugendliche und Erwachsene brauchen später hohe kognitive Fähigkeiten, um die digitalen Herausforderungen zu bewältigen." (Teuchert-Noodt, 2016)

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Frühe Mediennutzung ist kurzsichtig und riskant

Eine möglichst frühe Mediennutzung in Familie und Schule ist also kurzsichtig, hochriskant und kontraproduktiv: Sie gründet sich nicht auf Erkenntnisse der pädagogischen und neurobiologischen Wissenschaft. Die weitverbreitete Meinung „Wer sein Kind nicht früh genug an die Medien heranführt, verbaut ihm seine Zukunft“ ist ein verhängnisvoller Irrtum.

Diese Ansicht folgt unkritisch den Forderungen und den Vermarktungsinteressen der Medienkonzerne, die frühe Mediennutzung mit Fortschrittsbegriffen bewerben und in den Ministerien mit Hilfe von Lobbyorganisationen durchsetzen: "Grenzenlose Hoffnungen werden geschürt, damit digitale Produkte unseren Alltag durchdringen"(2).

Es scheint paradox, aber die wissenschaftliche Erkenntnis lautet:

Ein zu früher Medienkonsum behindert die Entwicklung von genau den
Schlüsselkompetenzen, die für die mündige Beherrschung der digitalen
Medien später gebraucht werden.

Digitale Medien: Die große Gefahr für unser Gehirn.
Autor: Umwelt-Medizin-Gesellschaft
Veröffentlicht am: 01.07.2017
4 Seiten
Ein Bauherr beginnt auch nicht mit dem Dach
Autor: Gertraud Teuchert-Noodt (unter Mitwirkung von Ingo Leipner)
Veröffentlicht am: 30.11.2016
3 Seiten
Trojanisches Pferd „Digitale Bildung“.
Autor: Peter Hensinger
Veröffentlicht am: 21.06.2017
24 Seiten
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Erst ab dem zwölften Lebensjahr können Kinder zunehmend selbstbestimmt und angemessen mit den Bildschirmmedien umgehen.