Gefahren beim Umgang mit digitalen Medien Leitfaden Digitale Medien

Übermäßige Mediennutzung und Suchtgefahren

„Ich fürchte den Tag, an dem die Technologie unsere Menschlichkeit überholt. Die Welt wird dann eine Generation von Idioten sein.“

Albert Einstein

Die DAK-Studie „Internetsucht im Kinderzimmer“ von 2015 (20) belegt eine bedenkliche, weltweite Entwicklung unter Jugendlichen und sogar bereits bei Kindern mit alarmierenden Zahlen: Bei 50% der 12- bis 17-Jährigen nimmt die tägliche Internetnutzung bereits 2 bis 3 Stunden in Anspruch. Am Wochenende steigt die verbrachte Zeit im Durchschnitt auf vier Stunden an. 20% der Jungen und Mädchen sind am Samstag oder Sonntag 6 Stunden und mehr mit Computerspielen oder der Internetnutzung beschäftigt.

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Die Risiken zunehmender Mediennutzung werden immer ersichtlicher

22 % der Kinder und Jugendlichen fühlen sich ruhelos, launisch oder gereizt, wenn sie ihren Internetkonsum  reduzieren sollen. Bereits ca. 5 % (das sind ca. 120.000) leiden unter krankhaften Folgen der Internetnutzung und ca. 8 % weisen bereits ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Internetsucht auf, d.h.: sie verbringen 8 bis 10 Stunden am Tag oder mehr mit dem Spielen und vernachlässigen zwangsläufig andere Aktivitäten.

Eine Fragebogen-Aktion in Kinderarztpraxen von NRW 2015 im Rahmen der BLIKK-Medien-studie (11) der Drogenbeauftragten der Bundesregierung ergab: „Mehr als 60% der 9- und 10-Jährigen in Deutschland können sich höchstens eine halbe Stunde ohne Fernseher, Computer oder andere digitale Medien beschäftigen. 40 Prozent der 13-Jährigen wiesen zudem Lern- und Konzentrationsstörungen auf.“ Auch klagten zahlreiche Eltern darüber, dass ihre Kinder über Computerspielen und Fernsehen anderweitige Aktivitäten wie das Lesen von Büchern vernachlässigen.

Der Arzt und Medientherapeut Bert te Wildt bezeichnet in seinem Buch „Digital Junkies“ (S. 101 - 106) daher das Smartphone unmissverständlich als Suchtmittel und Einstiegsdroge: „Durch bewusst eingebaute Belohnungsmechanismen wird der Nutzer an das Gerät gefesselt und seine Selbstkontrolle ausgeschaltet.“ (24)

Kinder- und Jugendliche werden zunehmend internetsüchtig!

Die Eltern von Max (16 Jahre) sind zum Beratungstermin gekommen.

Diana (35) erzählt: „Wir waren immer so stolz auf Max und wollten immer das Beste. Zur Belohnung für gute Noten gab es neue Computerspiele. Als er uns letzte Woche die Tür eingetreten hat, weil ich das Internet abgeschaltet hatte, sind wir aufgewacht. Max lebt seit Monaten praktisch nur noch in seiner Online-Spiele-Welt. In der Schule ist er abgesackt. Kurt und Paul kommen auch nicht mehr vorbei. Fußball hat er längst aufgegeben. Max selbst sieht kein Problem, aber wir sind verzweifelt und wissen nicht mehr weiter.“

Bei Max lautete am Ende die Diagnose: Computerspielsucht. Bei anderen besorgten Eltern konnte der Berater allerdings Entwarnung geben oder mit wenigen Ratschlägen weiterhelfen.

Max ist kein Einzelfall! Das Suchtpotential der digitalen Medien überfordert vor allem Kinder und Jugendliche: Nach einer DAK-Studie von 2016 sind in der Altersgruppe der 12- bis 25-Jährigen 5,7% (das sind ca. 696.000 Menschen) von einer Computerspielabhängigkeit betroffen, männliche Personen sind dabei mit 8,4 Prozent deutlich häufiger abhängig als weibliche (21). Dies wird von einer neueren Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) vom Februar 2017 („Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2015, Teilband Computerspiele und Internet“) bestätigt: ca. 270.000 Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren - das entspricht einem Anteil von 5,8% - haben eine „computerspiel- oder internetbezogene Störung“. Die Zahl hat sich innerhalb von 4 Jahren seit 2011 nahezu verdoppelt (von 3% auf 5,3%). Während Jungen die meiste Zeit mit Online-Spielen verbringen, nutzen die Mädchen das Internet überwiegend für Kommunikation. Bei den 12- bis 13-Jährigen sind laut der DAK-Studie von 2015 „Internetsucht im Kinderzimmer“ bereits 3,9% (das sind ca. 65.000 Kinder) betroffen.

Es überrascht daher nicht, dass immer mehr Kinder und Jugendliche behandelt werden müssen: Alleine am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf gibt es mittlerweile bis zu 400 internetsüchtige Kinder und Jugendliche pro Jahr. Etwa jedes zehnte Kind nutzt das Internet, um vor Problemen zu fliehen. Experten gehen davon aus, dass in Deutschland bereits bis zu einer Million Menschen internetsüchtig sind.

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Warnsignale

Die ersten Anzeichen für einen übermäßigen Internetgebrauch werden häufig von den Betroffenen selbst gar nicht bemerkt oder zumindest lange Zeit nicht als störend empfunden, da der Suchtprozess schleichend verläuft. Internetsüchtige sind wie bei anderen Suchtformen zunehmend auf Internetkonsum angewiesen, um einen befriedigenden Gefühlszustand zu erreichen. Daher versuchen sie, Familienangehörige und andere nahestehende Personen hinsichtlich des Umfangs ihres Internetkonsums zu täuschen oder zu beruhigen. Eltern sollten aufmerksam werden, wenn (vgl. (20), (27))

  • die Nutzungszeiten immer mehr zunehmen und sonstige Freizeitaktivitäten vernachlässigt oder sogar ganz aufgegeben werden;
  • Ihr Kind bis in die Nacht hinein am Computer sitzt, deutlich weniger schläft und einen verschobenen Tag-Nacht-Rhythmus entwickelt, also am Tag oft müde ist;
  • es sehr empfindlich auf Begrenzungsversuche reagiert, also launisch, gereizt oder sogar wütend wird, wenn es keinen Internet-/Computerzugang hat oder es seinen Internet-/ Computerkonsum reduzieren soll;
  • es vehement über Internet-/Computerzeiten verhandelt und/oder nachts heimlich den Computer anschaltet;
  • es deutlich weniger reale Sozialkontakte gibt, Ihr Kind jeglicher Begegnung aus dem Weg zu gehen scheint, Gespräche eher flüchtig und oberflächlich verlaufen;
  • es zu Versäumnissen bei der Erfüllung von Aufgaben und Verpflichtungen kommt (z.B. zunehmende Fehlzeiten des Kindes in der Schule, anstehende Erledigungen werden wochenlang aufgeschoben);
  • Ihr Kind gereizt reagiert und es zum Streit kommt, wenn Sie offen das (Sucht-) Problem ansprechen.

Wenn Sie solche Erfahrungen machen, sollten Sie Ihre Sorgen sehr ernst nehmen: Die Betroffenen selbst haben oft große Schwierigkeiten, ihren Internetgebrauch realistisch einzuschätzen, und sind deshalb auf Hilfe von außen angewiesen. Häufig sind auch Schamgefühle der Betroffenen für sie ein Grund, den eigenen Internet-/ Computergebrauch zu verharmlosen.

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Die wichtigsten Auswirkungen übermäßiger Mediennutzung

Bewegungsmangel: Kinder, die viel Zeit am Bildschirm verbringen, zeigen oft eine verzögerte Bewegungsentwicklung. Zu wenig Bewegung führt zu schlechter Durchblutung, auch im Kopf. Dies beeinträchtigt z.B. die Feinmotorik, das Denken, Kreativität und Spontaneität u.v.m.

Übergewicht: Wer mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringt, ist häufiger übergewichtig. Übergewicht kann eine Reihe schwerwiegender Folgen haben: Zuckerkrankheit (Diabetes Typ II), Arterienverkalkung, Herzinfarkt. Die Frage ist aber: Was ist Henne, und was ist Ei? Führt Vielfernsehen zu Übergewicht – oder umgekehrt? In Neuseeland haben Forscher 1.000 Kinder ab Geburt bis 30 Jahre begleitet. Das Ergebnis: Übergewicht, Diabetes und auch Schulschwierigkeiten waren tatsächlich die Folge von hohen Fernsehzeiten.

Schlafstörungen: Viele Menschen schlafen abends vor dem Fernseher ein. Heißt das, Fernsehen fördert den gesunden Schlaf? Gerade für Kinder gilt das Gegenteil:

Je aufregender ein Film oder Computerspiel ist, desto schlechter schläft ein Kind danach. Besonders, wenn noch kurz vor dem Schlafengehen der Fernseher läuft.

Mehr Zeit am Bildschirm und damit weniger Zeit für Schlaf ist auch fürs Lernen ein Nachteil: Denn was am Tag erlebt wurde, muss in der Nacht im Schlaf verarbeitet und gefestigt werden.

Kontakt- und Entwicklungsstörungen: Wenn trotz vieler virtueller Freunde kaum noch echte Sozialkontakte gepflegt werden, wird ein wichtiger Lebensbereich vernachlässigt. Beziehungsstörungen, Entwicklungsstörungen und zunehmende Lebensangst können die Folge sein. Es kommt zu einem Stillstand in der psychosozialen Reifung, da für wesentliche Entwicklungsschritte Zeit verloren geht.

Südkorea geht mit gutem Beispiel voran!

Kinderärzte in den USA warnen seit Jahren vor den genannten Risiken und Nebenwirkungen und fordern, Kleinkindern überhaupt keine digitalen Medien anzubieten und Kindern die Nutzung digitaler Medien zeitlich deutlich zu begrenzen. Dem sind jetzt die südkoreanischen Bildungspolitiker gefolgt: Südkorea ist das erste Land, in dem die Regierung bereits im Jahr 2015 per Gesetz damit begonnen hat, die junge Generation vor den schlimmsten Auswirkungen der neuen Technik aktiv zu schützen.

Wer unter 19 Jahren alt ist und ein Smartphone kauft, muss darauf eine Software installiert haben, die

1. den Zugang zu Gewalt und Pornographie sperrt,

2. die tägliche Nutzungszeit des Smartphones registriert und den Eltern eine Mitteilung sendet, wenn diese einen voreingestellten Wert überschreitet, und

3. die nach Mitternacht die Verbindung zu Spiele-Servern unterbricht.

Im digital fortschrittlichsten Land hat man begriffen, wie wichtig es ist, die nachfolgende Generation vor den Risiken und Nebenwirkungen dieser Technologien zu schützen. Süd-Korea ist das Land mit der weltweit fortschrittlichsten digitalen Infrastruktur und produziert weltweit die meisten Smartphones. Daher gibt es dort in der Altersgruppe der Menschen von 10 bis 19 Jahren bereits über 90% kurzsichtige und über 30% (!) Kinder und Jugendliche mit einer Smartphone-Sucht (23) und bereits viele Haltungsschäden durch die ständige Verkrümmung der Halswirbelsäule.

Worauf kommt es an?

Viele Eltern sind bei der Internetnutzung Ihrer Kinder verunsichert. Der intensive Gebrauch von digitalen Medien führt in vielen Familien zu Streit – bis hin zu Krankheit und Abhängigkeit. Ein möglichst frühes Heranführen an die Medien zur rein technischen Beherrschung reicht für eine selbstbestimmte Nutzung offenbar nicht aus und kann allein nicht Ziel sein. (Bedienungs-) Technisches Können schützt nicht vor Sucht. Als Prävention empfiehlt dieser Leitfaden, die Bildschirmnutzung Ihres Kindes möglichst lange hinauszuzögern und stattdessen für ein vielfältiges Angebot von Alternativen aus der analogen Welt zu sorgen, das als Gegengewicht Ihr Kind vor Sucht schützen kann.

Armin Staudt / photocase.de

Wenn es „brennt“ und nichts mehr hilft …

Wenn Ihr Kind Symptome eines Suchtverhaltens zeigt, empfehlen wir die Intervention durch Beratungsstellen. Beratungsstellen in Deutschland (mit Suchmöglichkeit und/oder Adressliste) finden Sie bei folgenden Websites:

Weitere Informationen und Hilfe finden Sie bei folgenden Organisationen:

Digital Junkies
Autor: Bert te Wildt
Veröffentlicht am: 02.03.2015
384 Seiten
Onlinesucht
Autor: Isabel Willemse
Veröffentlicht am: 19.10.2015
160 Seiten
Computersucht
Autor: Christoph Möller, Vanessa Glaschke
Veröffentlicht am: 17.07.2013
115 Seiten