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Wir machen aus unseren Kindern Psychopathen

Prof. Dr. Gertraud Teuchert-Noodt spricht über Smartphonejunkies

Ralf Wurzbacher im Gespräch mit Prof. Dr. Gertraud Teuchert-Noodt: über Hirnschäden durch digitale Medien, »notreifende« Smartphone­junkies und Schulen als Lernvereitler.

Gertraud Teuchert-Noodt leitete von 1979 - 2006 den Bereich Neuroanatomie an der Fakultät für Biologie / Uni Bielefeld; sie hielt Sachunterricht in Neuro-, Evolutions- und Humanbiologie.

Forschungsschwerpunkte: Entwicklungsbiologie, Lern- und Psychoseforschung.

Ein Auszug des Interviews für die Tageszeitung 'junge Welt':

Junge Welt: Zu der Frage, was der ungezügelte Gebrauch von Smartphones, Tablets und Spielkonsolen in den Köpfen von Heranwachsenden anrichtet, ist von Ihnen folgender Satz überliefert: »Wenn wir den Karren so weiterlaufen lassen, wird das eine ganze Generation von digitalisierten Kindern in die Steinzeit zurückwerfen.« Haben Sie einen Hang zum Alarmismus?

Teuchert Noodt: Wenn in der immer schriller werdenden medialen Zeit nur Pro-Alarm fürs Digitale geschlagen wird – erinnert sei an Christian Lindners »Digital first, Bedenken second « –, und wenn keine andere politische Partei – nicht einmal Die Linke – dagegenhält, vielleicht hört man dann besser mal hin, wenn sogar der Vergleich zwischen künstlicher Intelligenz, KI, und der Atombombe fällt. Tesla-Chef Elon Musk nämlich hält die KI tatsächlich für gefährlicher. Man mag mich mit meiner Formulierung vom »Rückfall in die Steinzeit« spontan in den Reigen der Alarmisten stellen, aber mein Forschungslabor hat über 30 Jahre hinweg viele Fakten zusammengetragen, die das begründen. Zunächst sage ich: Hut ab vor den Steinzeitmenschen, die waren prächtige Kerle. Hätten sie ihren Kindern das Schreiben und Lesen beigebracht, dann wären sie uns im Denken ebenbürtig gewesen. Andererseits, hätten wir Kriegskinder seinerzeit gar nicht in die Schule gehen können, würden wir jetzt wohl auch nur Steine klopfen können. Eben das steht den digitalisierten Kindern bevor. (…)

JW: Sie postulieren, dass es kein digitales Lernen geben kann. Warum bleibt im Kopf nichts hängen, wenn man mit dem Finger über ein Display wischt?

TN: Das trifft den Kern des Problems. Das Gehirn ist ein Konstrukt, das während der Entwicklung nach ganz einfachen Regeln von einem klugen Baumeister, der Selbstorganisation, aufgebaut wird. Der Aufbau startet im Embryo und ist den Reifungssequenzen des gesamten Körpers unterstellt. Jedes Organ und alle Sinne entwickeln im neuronalen Substrat des Gehirns eine »Repräsentation «, eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung. Die nervösen Verbindungen zu den körperlichen Ursprüngen bleiben lebenslang
bestehen, und Aktivitäten garantieren den Dialog zwischen Körper und Hirn. Ähnlich der Blutversor­gung durch Gefäße sind Nervenbahnen unsere Lebensadern. Digitale Medien schneiden das reifende Gehirn des Kindes von diesen Lebensadern ab und lassen nicht zu, dass sich in der Hirnrinde sinnbezogene Repräsentationen anlegen.

JW: Wie also müssten Kinder aufwachsen, um gegen die Gefahren der neuen Techniken gewappnet zu sein?

TN: Das Tablet im Kinderzimmer versetzt das Kind in eine digitale Zwangsjacke. Elementare Bedürfnisse wie krabbeln, laufen, klettern werden unterdrückt. Diese Bedürfnisse dienen dazu, die Sinne zu schärfen, die Muskeln zu stärken, den Geist und die Freude an körperlicher Bewegung zu wecken. Nur wenn die Nervenzellen der einzelnen Hirnfelder sehr viele Kontakte mit sehr vielen anderen Zellen ausbilden, kann ein intelligenter Kopf heranreifen. Dagegen setzt eine Kaskade von Behinderungen ein, wenn Schaltkreise des Großhirns von den Lebensadern durch digitale Spielsachen abgeschnitten sind: Das Sprechenlernen verzögert sich, die Händchen können ihre Fähigkeit nicht entfalten, einen Mal- oder Schreibstift zu halten. Kürzlich erreichte uns eine Alarmmeldung aus London, weil Sechsjährige den Stift nur mit dem Fäustchen halten konnten und die Einschulung gefährdet war.

diagnose:media stellt das ganze Interview als PDF zum Download zur Verfügung! (siehe unten)

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